A m 9. März 1994 soll sich Erwin M. vor dem Amtsgericht Euskirchen dafür verantworten, dass er seine Freundin Lena halb totgeschlagen hat. Der gelernte Installateur war - zur allgemeinen Belustigung der anderen Anwesenden - mit Lackmantel, Lacklederstiefel, Stirnband, Sonnenbrille und einer Knoblauchkette um den Hals vor Gericht erschienen.
Er hat Einspruch gegen einen Strafbefehl über 7.200 Mark eingelegt, aber der wird abgewiesen.
Jetzt flippt Erwin M. endgültig aus: Wild um sich schießend, tötet er sieben Menschen und verletzt acht weitere schwer, bevor er sich selbst in die Luft sprengt.

Eine Vorliebe für Gummistiefel

Klein-Erwin ist schon als Kind ein Außenseiter und ein Einzelgänger. Er wird von seinen Mitschülern entweder ignoriert oder gehänselt, von seinem Vater, einem Schuster, ständig geschlagen und von seiner Mutter abweisend behandelt.
Sein sehnlichster Kindheitswunsch, ein paar eigene Gummistiefel zu besitzen, wird später zur Perversion. Er entwickelt eine sexuelle Vorliebe für Gummistiefel und eine Leidenschaft, Frauen in Gummistiefeln zu fotografieren oder zu filmen. Die Boulevardpresse bezeichnet ihn nach der Tat als den "Gummistiefel-Killer" von Euskirchen.

Musste es soweit kommen?

Sein zweites Hobby sind seine Waffen, die ihm ein Gefühl der Sicherheit geben. An seinem Arbeitsplatz als Busfahrer beim Regionalverkehr Köln fällt er auf, weil er ständig eine Waffe mit sich führt. Sein Chef verlangt daraufhin von ihm, dass er sich einem psychologischen Gutachten unterzieht. Der Arzt diagnostiziert eine schwere psychische Störung. Eine langjährige Therapie wäre nötig, doch Erwin hält sich selbst für gesund und alle anderen für krank.

Nach einem Streit bedroht er seinen Chef, der zur Polizei geht und davor warnt, dass Erwin im Affekt von seinen Waffen Gebrauch machen könnte. Doch auf dem Revier stößt er auf taube Ohren...

Der Film zum Fall

Spektakuläre Attentate werden gerne verfilmt - beim Opfer muss es sich nicht unbedingt um den Präsidenten der Vereinigten Staaten (John F. Kennedy) handeln oder um fast 3.000 Angestellte im World Trade Center (11. September).
Dass ein Angeklagter im Gerichtssaal um sich schießt, war bis dato in Deutschland nicht unbedingt zu erwarten. Besonders übel hat es die Justiz dem Täter genommen, dass sich unter den Opfern auch Mitarbeiter der Rechtspflege befanden - ein Richter und ein Rechtsanwalt.

So schnell wie RTL hat es bisher niemand geschafft, ein Attentat dieser Kategorie für den Bildschirm aufzubereiten: Nur wenige Monaten später, noch im selben Jahr, wurde das Dokudrama "Tag der Abrechnung - Der Amokläufer von Euskirchen" produziert und gesendet.
Zur Überraschung der meisten Kritiker liegt der Schwerpunkt gar nicht einmal auf dem blutigen Finale (wie man das bei RTL vermutet hätte), sondern auf der Vorgeschichte und vor allem dem Psychogramm des Täters und seines persönlichen Umfelds. Dazu beigetragen hat natürlich auch die schauspielerische Leistung der Hauptdarsteller - der spätere Oskar-Gewinner Christop Waltz als Täter Erwin, Cornelia Froboess als emotionslose Mutter und Christian Redl als brutaler Vater.

Und was lernen wir daraus?

Als palästinensische Terror-Gruppen in den sechziger Jahren damit begannen, Passagier-Flugzeuge zu entführen und in den Luft zu sprengen, wurden die Sicherheitsmaßnahmen an den internationalen Flughäfen massiv ausgeweitet.
Jetzt - also nach 1994 - werden Sicherheitsschleusen und Durchleuchtungsgeräte auch an deutschen Gerichten (und vielen öffentlichen Gebäuden) eingerichtet. So hat Erwin M. (Justiz-)Geschichte geschrieben, wahrscheinlich würde er sich darüber freuen.


*** Euskirchen ***

Die Kreisstadt am Rand der Nordeifel mit annähernd 60.000 Einwohnern war bis Anfang der sechziger Jahre ein Zentrum der Textilindustrie. In der ehemaligen Tuchfabrik Müller - nach jahrzehntelangem Dornröschenschlaf vom Landschaftsverband Rheinland (LVR) als Industriemuseum wieder zum Leben erweckt – sieht es so aus, als hätten die Arbeiter gerade erst die Maschinen verlassen.
Stolz ist man in Euskirchen auch auf das eigene Stadtmuseum, das zu einer Zeitreise von den Römern bis ins 21. Jahrhundert einlädt und die historische Stadtmauer baulich integriert.

Historisch interessierte Besucher freuen sich über insgesamt zwölf (Wasser-)Burgen im Stadtgebiet, die auf der 45 Kilometer langen Euskirchener Burgenrunde von außen besichtigt werden können.

Karibik-Feeling in Euskirchen: Ein Becken umrandet mit mehr als 500 Palmen, eine Sauna mit Blick auf ein Riesenaquarium, das Dach zirka 200 Tonnen schwer, bei schönem Wetter geöffnet, auf einer Fläche von 18.000 qm, umhüllt von einem regelrechten Glaspalast.
Mit diesen Superlativen eröffnete Ende 2015 eines der größten Spaßbäder Europas. Die Kosten von annähernd 60 Mil. Euro stemmte der Investor der "Thermen und Badewelt" Josef Wund, der vergleichbare Anlagen bereits erfolgreich in Süddeutschland betreibt.

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