F ür den Islamisten auf der Suche nach dem kürzesten Weg als Märtyrer ins Paradies gilt es als eine attraktive Optionen - sich selbst in die Luft sprengen und dabei möglichst viele Ungläubige mitnehmen.
Menschen aus dem westlichen Kulturkreis haben sich an die selbstlose Opferung des eigenen Lebens - verbunden mit dem großen Knall - noch nicht so recht gewöhnen wollen.
Dabei gab es schon vor Jahrzehnten in der Eifel einen Vorläufer - wenn auch aus ganz anderen Motiven.

Die Schwestern und der Attentäter

Kall in der Nordeifel, Ende August 1948. Der Krieg war jetzt schon ein paar Jahre vorüber, die Währungsreform hatte die Waren zurück in die Geschäfte gebracht, und auch in der Eifel ging es wieder aufwärts.
Vom bevorstehenden "Wirtschaftswunder" hat noch niemand geträumt, aber die Menschen wollten wieder feiern und sich ablenken. Eine passende Gelegenheit dazu bot die Kaller Kirmes.

In der Trierer Straße Nr. 13, direkt neben einer früheren Zigarrenfabrik, betrieb Katharina Esser, genannt „Essers Trien“, eine einfache Herberge. Die Hütte hatte schon einmal bessere Zeiten gesehen; jetzt wurden von der Gemeinde überwiegend Hausierer, Handwerksburschen, Penner und Obdachlose eingewiesen - so eine Art Asylunterkunft 1.0 also.
Die Herbergswirtin war in die Jahre gekommen und hatte die Arbeit ihrer unverheirateten Nichte Gertrud übertragen, der ein angestellter "Hausmeister" zuarbeitete: Johannes Möhrle stammte aus Baiersbronn im Nordschwarzwald und war nach dem Krieg in der Eifel hängengeblieben.

Zur Kirmes hatte Gertrud ihre Schwester Martha aus Willich eingeladen. Die stand mit ihren 47 Jahren zwar recht gut im Futter, war aber sonst eine ansehnliche Erscheinung und ziemlich temperamentvoll.

Das Verhängnis nimmt seinen Lauf

Johannes verguckte sich in Martha und forderte sie auf der Kirmes mehrfach zum Tanz. Jedesmal erhielt er einen Korb - das Angebot an strammen Eifler Jungs hatte besseres zu bieten.

Möhrle konnte diese Kränkung nicht ertragen und ging vorzeitig nach Hause, nicht ohne vorher einem befreundeten Kaller Sprengmeister einen Besuch abzustatten. Bei dieser Gelegenheit deckte er sich mit dem Stoff ein, der üblicherweise für die Sprengungen in der Sandgrube benötigt wurde.

In der Nacht vom 30. auf den 31. August 1948, als Gertrud und ihre Schwester vom Tanzvergnügen zurück und eingeschlafen waren, sprengte Möhrle sich und die Herberge mit den beiden Schwestern gegen 4 Uhr 15 in die Luft.

Alle Hausbewohner waren sofort tot und die Herberge in der Trierer Straße 13 total zerstört. Die beiden Schwestern und die sterblichen Überreste des Mörders wurden ohne den Segen der katholischen Kirche auf dem Friedhof in der Aachener Straße von Gemeindearbeitern beigesetzt.

Und was macht RTL daraus?

Auf ein vergleichbares Sprengstoff-Attentat muss die Region fast ein halbes Jahrhundert warten:
Im März 1994 erschießt der durchgeknallte Installateur und Waffennarr Erwin M. in einem Nebengebäude des Amtsgerichts Euskirchen sieben Menschen, bevor er sich mit einer selbst gebastelten Bombe in die Luft sprengt.
Zu diesem Zeitpunkt hat Deutschland schon 10 Jahre Privatfernsehen, und der Kölner Sender RTL bereitet das Attentat innerhalb eines halben Jahres zu einem Dokudrama auf: "Tag der Abrechnung - Der Amokläufer von Euskirchen".
Den Täter spielt der spätere Oscar-Gewinner Christoph Waltz - Erwin M. hätte das sicher gefallen!

Eine entsprechende Verfilmung ihres eigenen Sprengstoffanschlags haben die Kaller bisher noch nicht gesehen. Was könnte RTL da nicht alles reinpacken?
Herz, Schmerz, verletzter Männerstolz, die frühe Phase des Wiederaufbaus auf dem Land, Eifler Feste und Bräuche, und zum Schluss natürlich der große Knall...

Der Chronist

So gibt es nur noch wenige Kaller, die von dem Anschlag zu berichten wissen, sei es aus eigenem Erleben oder durch Erzählungen von Zeitzeugen.
Auch im Internet ist darüber nichts zu finden - das haben Johannes Möhrle und die anderen Protagonisten nun wirklich nicht verdient.

Dass diese Episode der jüngsten Eifler Geschichte nicht gänzlich dem Vergessen anheim fällt, ist Hubert Büth zu verdanken und seiner über 600 Seiten starken Text- und Bildchronik "Kall im Spiegel der Geschichte".
Der geborene Kaller arbeitete Jahrzehnte in der Verwaltung verschiedener Eifelgemeinden, zuletzt als Gemeindedirektor in Dahlem. Nach seiner Pensionierung startete er das Projekt "Heimatforschung" und schrieb schließlich - auf Wunsch vieler Kaller - die Geschichte seines Heimatortes auf. Die Chronik wurde 2014 veröffentlicht, unterstützt von einer Reihe Kaller Unternehmen und der NRW-Stiftung Natur - Heimat - Kultur.


*** Kall ***

dürfte sich im Wettbewerb »Unser Dorf soll schöner werden« nur geringe Chancen ausrechnen, zumindest was den Kernort angeht. Im Vergleich zu Monschau, Bad Münstereifel, Reifferscheid oder Kommern - um nur einige prominente Beispiele in der Nordeifel zu nennen - kann das Zentrum Kalls weder mit romantischen Fachwerk-Ensembles, noch mit Burganlagen aufwarten. Auch Top-Restaurants oder 4-Sterne-Hotels sucht man hier vergeblich, dafür gibt es das einzige McDonald´s weit und breit, viele Supermärkte und Discounter und eines der größten Möbelhäuser bundesweit.

Für Touristen deutlich interessanter sind die Außenorte der Gemeinde: Keine Discounter, aber diverse Hinterlassenschaften der Römer, darunter Reste der Wasserleitung nach Köln, Burganlagen in unterschiedlichem Erhaltungszustand und vor allem die "Eifelbasilika" in Steinfeld mit angeschlossenem Kloster, Hotel und Gymna­sium.

Lage ist nicht alles

Die - auf den ersten Blick - geringe touristische Strahlkraft verdankt Kall paradoxerweise seiner günstigen Verkehrslage: Der Ort war früher einmal so etwas wie der »Eisenbahn-Knotenpunkt« der Nordeifel mit der entsprechenden militärischen Bedeutung im ersten und Zweiten Weltkrieg. Das haben leider auch die alliierten Bomberflotten so gesehen und den Ort durch schwere Angriffe gegen Kriegsende beinahe dem Erdboden gleichgemacht. Im »kalten Krieg« wurde auf Gemeindegebiet - und natürlich unter strikter Geheimhaltung - der atombombensichere Regierungsbunker der NRW-Landesregierung errichtet und später an eine Familie verkauft, die ihn als Dokumentationszentrum aufrechterhält und Führungen anbietet.

Sanfter Tourismus

Heute punktet Kall vor allem mit den Themen »Natur« und »Wandern«: Gelegen im Naturpark Nordeifel und angrenzend an den Nationalpark Eifel kreuzen das Gemeindegebiet eine Reihe von bekannten Wanderrouten, z.B. eine Etappe des »Eifelsteigs« (Aachen-Trier), der Römerkanal-Wanderweg (Nettersheim-Köln) und diverse andere Themen-Routen. Auch eine Vielzahl von Radwander- und Mountain-Bike-Strecken sind in Kall ausgewiesen, u.a. die Eifel-Höhen-Route und die Tälerroute.

Bewertung:   4,2/5  Tripadvisor